Carl Aigner

Poetry Colours
Noten zur neuen Malerei von Andrea Bischof

In jedem Bild sehe ich zuallererst die Farbe.
Andrea Bischof

Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer, ich weiß das. Das ist der glücklichen Stunde Sinn: ich und die Frabe sind eins. Ich bin Maler.1 Diese wohl eindringlichste Äußerung eines Künstlers zur Farbe notiert Paul Klee während seiner Tunisreise am 16. April 1914 in sein Tagebuch.1 Eineinhalb Jahrzehnte hat der Künstler gerungen, Erst angesichts der intensiven und opulenten mediterranen Licht- und Farberfahrungen wagt er den Schritt in die Malerei. In unabdingbarer Weise wird nun für ihn Farbe zur Identität und existentiellen Seinsform der Malerei schlechthin.

Dasein

Für Andrea Bischof ist die Farberfahrung von Paul Klee eine Wegbegleiterin sowie ein Kompass ihres Arbeitens. Auch in ihren neuen Arbeiten kulminieren, nein, verdichten sich diese Erfahrungen. Augenfällig ist eine neue Bewegung hin zum Sphärisch-Liquiden in der Handhabung von Farbe und deren Verläufen. Kompositorisch wird die Bildfläche diversifiziert, es entstehen ineinander verwobene Bildräume mit Vorder-, Mittel- und Hintergrund, die eng mit dem Bildaufbau der Malerei von Andrea Bischof verknüpft sind. Die Grundierung erfolgt mit Halbkreidegrund, mit dem eine verschmelzende Verbindung zwischen ungrundierter Leinwand und der Untergrundfarbe hergestellt; damit wird die erste Malschicht geschaffen. Darüber folgen weitere, meist intuitiv-chaotisch verstreute Farbschichten, die jedoch nur fragmentarisch die darunter liegenden Farben verdecken. Dieses partielle Übereinander imaginiert Bildebenen und durch die Durchsicht die Bildtiefe als Bildraum. Wie in einem Theaterraum treten die Farben spielerisch-chaotisch in-, mit- und durcheinander auf: Ein Minimum an Chaos ist die Bedingung der Möglichkeit an Individualität, schreibt der Philosoph Odo Marquard einmal.2

Die Malerei von Bischof ist weder gestisch noch monochrom, weder abstrakt noch gegenständlich, weder konstruktiv noch expressiv, sondern poetisch, vibrierend, intuitiv, kosmisch, „pochend“, wie sie es selbst treffend beschreibt. Dabei spielt das Direkte, Spontane des Mediums Malerei ebenso eine konstitutive Rolle wie die Farbe selbst, die für die Künstlerin das bildnerische Medium schlechthin ist. Das Luzide und Liquide, das Leichte und Legere ihrer Malerei bewirkt einen Bildstatus, der am besten mit „schwebend“ umschrieben werden kann und nicht nur Atmosphärisches, Emotionales oder Wahrgenommenes meint, sondern unter anderem Fragen und Aspekte von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, von Präsenz und Absenz thematisiert. Nicht zufällig ist das Spannungsfeld von etwas zum Vorschein bringen und etwas Verschwinden lassen eine nachdrückliche inhaltliche Akzentuierung des Werkes und nicht nur eine bloße gestalterische Verfahrensweise von Zudecken und Aussparen des Maldiskurses selbst.3

Herkommen

Seit der mittelalterlichen Tafelbildmalerei und dem Aufkommen der Ölmalerei in der Renaissance ist die Farbe in vielfältiger Weise ein Basisgen der europäischen Malerei geworden. Nicht nur als symbolischer Ausdruck, ob religiös oder herrschaftlich, wird die Farbmalerei virulent, sondern – oft damit verbunden – spielt in den frühen Farbtheorien bereits das Kolorit eine wichtige Rolle (Alberti‘s – Della Pittura etwa4). Der erste große Wandel seit der Renaissance vollzog sich von 17. zum 18. Jahrhundert. Die Hinwendung zur naturalistischen Farbgebung bedeutet die Loslösung von ikonographischen Farbtraditionen mit ihren symbolisierenden Farbcharakteren und geht mit der Entdeckung neuer Farben einher. Diese Entwicklung beschleunigt sich im 19. Jahrhundert radikal; weitere Pigmente, neue Farbtechniken wie etwa die Tubenfarben werden entdeckt beziehungsweise entwickelt und das Moment des Experimentierens gewinnen weiter an Relevanz.

Damit verbunden eröffnen im Kontext der großen gesellschaftlichen Veränderungen jener Zeit – Industrialisierung, Urbanisierung, Technisierung, Apparatisierung, Beschleunigung - zwei Tendenzen völlig neue Perspektiven des Selbstverständnisses der Malerei: Die Wahrnehmung von Licht sowie die Wahrnehmung von Farbe. Durch die Erfindung der Photographie – einer ihrer Erfinder, Henry Fox Talbot, nannte sie Zeichenstift der Natur5– wurde das Licht für die Weiterentwicklung der Malerei zu einer unerhörten Virulenz, ohne die sich die impressionistische Malerei nicht hätte entwickeln können, wie dies der Fall war. Die Photographie schuf eine Wahrnehmungssensibilisierung, die auch das Verständnis von Farbe wesentlich prägte. Licht, Farbe und das Sehen selbst erfuhren grundlegende neue naturwissenschaftliche Erkenntnis, die zur großen Stimulanz der Malerei wurden. Die Verschiebung des künstlerischen Erkenntnisinteresses vom Gegenstand hin zu seiner Erscheinung und Wirkung, seiner möglichen Wahrnehmbarkeit, eröffnet naturwissenschaftliche Sehräume bislang unbekannten Ausmaßes, man denke nur an die Röntgenphotographie. Das Werk von WilliamTurner mit seinen erhabenen Naturatmosphären ist ein früher Vorbote für die Entwicklung der Malerei des späteren Jahrhunderts und ihres neuen Sehens.

Diese faszinierenden Tendenzen führen in ihrer logischen künstlerischen Perspektive zu einer weiteren Loslösung bis hin zur Überwindung vom Gegenständlichen und eröffnen damit eine Metaversion: Mit dem Impressionismus, Fauvismus und Expressionismus, um nur die großen Linien zu nennen, wird Wahrnehmung zunehmend als subjektiver Akt, als subjektive Handlung verstanden. Vom Sehen zur inneren Wahrnehmung und Empfindung des Sehens (Ernst Mach sei hier genannt) wird die Kunst zu etwas radikal Neuem: Nicht eine Wirklichkeitsreferenz definiert die Wirklichkeit von Kunstwerken, sondern das Gelingen eines autonomen Status lässt sie zu etwas Eigenem werden. Die Malerei zur Erweiterung der Wirklichkeit. Paul Klee bezieht sich in seinem Tuniser Statement zur Farbe nicht auf eine externe Referenz von Farben, sondern auf ihre immanente Wirklichkeit jenseits von einer kulturellen Metaebene. Dies impliziert eine außerordentliche Sehnsucht nach einer freien, reinen Farbempfindung, weshalb er auch schreiben konnte, dass die Farbe ihn hat und nicht umgekehrt. die Farbe wird nun im künstlerischen Werk Seinsweise des Sehens. In Folge wird Farbe zu einem Element der Wahrnehmungserkenntnis, zu einer Ästhetik der Erkenntnis selbst.

Heiter bis wolkig

Bei längerer Betrachtung beginnen die Farben eine fast flirrende Lebendigkeit zu entwickeln, so als ob sie kommunizierende Gefäße sind, die sich impulsiv austauschen und einen fluiden Kosmos bilden, der sich unentwegt in Schwingungen befindet. Der Grundton der Malerei von Andrea Bischof impliziert, dass die Farben keine Behauptungen suggerieren, keine Denotationen, sondern unentwegte konnotative Versuchungen, ja Verführungen, den Blick zu erweitern. In den neuen Arbeiten wird dabei der Blauton bestimmender, verbindet eine Reihe von Bildern stärker miteinander. Auffallend ist eine neue, verstärkte Luzidität einzelnen Farbtönen, die im Bildraum zu schweben scheinen und eine Leichtigkeit ihres Vorhanden

Der Künstlerin gelingt es dabei, aus ihren langjährigen Erfahrungen mit der italienischen, venezianischen Malerei, des Impressionismus, Expressionismus, Tachismus, Drip Painting und anderen Formen der Farbmalerei einen eigenen, selbstständigen Gestus zu entwickeln, der alle diese Strömungen amalgamiert und gleichzeitig überschreitet. Behutsam, assoziativ, unentwegt zwischen intuitivem Erspüren und konzeptivem Erkennen changierend, entfaltet Andrea Bischof eine Poetik der Farben im ursprünglichen Wortsinn von poiesis: Sie erschafft buchstäblich Farben, aus denen sich der genuine Bildsinn schöpft. Jenseits ikonographischer oder symbolischer Farbwertigkeiten findet sich im Betrachten der Werke ein assoziativer Reichtum, der auch von einer großen inneren Freiheit des künstlerischen Arbeitens zeugt. In besonderer Weise sieht man dies in den spontanen Betitelungen ihrer Arbeiten, die keine Bildbeschreibungen darstellen, sondern meist örtliche, zeitliche oder thematisch-situative Benennungen darstellen; es sind Miniaturerzählungen, die ihn ihrer Assoziativität einen verblüffenden semantischen Reichtum vermitteln, mehr noch: ein Paralleluniversum eröffnen. Die dabei entstehende Atmosphäre der Werke, sozusagen ihre Stimmung. ist heiter bis wolkig. Als „himmlisch“ beschreibt die Künstlerin selbst die Charaktere ihrer Ölgemälde,6 deshalb sei hier die meteorologische Metapher erlaubt, ohne in eine analogisierende Natursymbolik zu verfallen.

Zum Raum wird hier die Kunst/zur Kunst wird hier der Raum

Eine Eigenart des Oeuvres von Andrea Bischof findet sich in den unterschiedlichsten und extremen Bildformaten. Das neue, für die Dresdner Gemäldegalerie geschaffenen Monumentalwerk Il grande spettacolo in cielo mit seinen vielen kunsthistorischen Bezügen zur venezianischen Malerei6 ist das aktuell herausragendste Beispiel. In ihren über die Jahre entstandenen raumgreifenden Wand- und Deckenmalereien, wie sie die Künstlerin im Arkadengang der Pfarre Maria Himmelfahrt in Schwaz in Tirol, Hinmelszelt, in der Villa Cielomar Peninsula Papagayo, Costa Rica, Cielomar sowie im Cafe Himmelblau am Kutschermarkt in Wien, Die Wolke realisiert hat, zeigt sich eine beeindruckende Könnerschaft ihrer Malerei, vor allem was deren Übersetzung in die jeweiligen Bildformate betrifft. In erstaunlicher Weise gelingt ihr das Switchen zwischen Leinwand und Wandmalerei und ihren unterschiedlichsten Formaten, ohne dass dabei die Intensität ihres Ausdrucks verloren geht. Im Flottieren der sich ständig verdichtenden und sogleich wieder fragil auflösenden Farben und Farbwolken werden die Bilder zu einem Fest der Farben, zu einem Fest der Schönheit, in dem sich „das Auge ergehen kann“, wie Stifter in seinem Nachsommer anmerkt. Das Oeuvre von Andrea Bischof ist derart auch ein manifestes Statement gegen die alltägliche Bilderflut, die uns langsam erblinden lässt. Dazu für müssen wir jedoch wieder lernen „gehörig zu schauen“, wie Adalbert Stifter weiter so eindringlich in seinem Nachsommer schreibt.7

 

1 Paul Klee: Tagebücher 198 – 1918, herausgegeben von Felix Klee, Verlag M. DuMont, Köln 1957. S. 3

2 Odo Marquard: Abschied vom Prinzipiellen, Reclam Stuttgart, 1981, S. 108

3 Stephan Koja führt dies detailreich in seinem Essay Farbe und Erkenntnis. Zur Malerei von Andrea Bischof in der Publikation Andrea Bischof: Color Truth, herausgegeben von Stephan Koja, Hirmer Verlag München, 2016 aus.

4 Leon Battista Alberti: Della Pittura. Über Malkunst, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2002, insbesondere die Passagen über Farbe

5 Hubertus von Amelunxen: Die aufgehobene Zeit. Die Erfindung der Photogrpahie durch William Henry Fox Talbot, Nishen Verlag, Berlin 1988

6 siehe dazu das Gespräch der Künstlerin mit Claudia Schmied auf Seite XXX der vorliegenden Publikation

7 Der Nachsommer, Roman, dtv Verlagsgesellschaft München, Neuauflage 2017, S. 436