Die Haut des Bodens

Die Haut des Bodens
Asphalt-Tattoos von Andrea Bischof

Die Gründe, den geschützten Bezirk der Galerie zu verlassen, und in den öffentlichen Raum vorzudringen, mögen vielfältig sein. Die Suche, sich der Gemeinschaft auszusetzen, lässt sich als Prozess verstehen. Die Künstlerin bewegt sich durch urbane Schaltstellen und befragt die Architektur und die historische Dimension. Ein kleiner Weg des aufgelassenen Friedhofs neben der gotischen Pfarrkirche vermittelt Zentrum und Ruhe zugleich. Er führt zu dem noch vorhandenen, überdachten Gräberschmuck der Mauer des Gottesackers. Andrea Bischof fräst sich in den Asphalt des Weges und interveniert damit körperlich. Die Besucherinnen und Besucher gehen und stehen auf dem Kunstwerk und beherrschen es. Das Verweilen nötigt zum Gewahrwerden des städtischen Kontexts.

Der rauhe Asphalt überdeckt den Boden, den die Toten verlassen haben. Das Material vermittelt Zähigkeit. Seine Festigkeit ist elastisch, es dehnt und zieht sich zusammen bei Hitze und Kälte. Die relative Beweglichkeit signalisiert Spannkraft: die Haut des Bodens. Die neuralgische Strecke verpflichtet zur Wahrnehmung des locus amoenus, von Ruhe und Bewegung zugleich. Erst das Eindringen in die Substanz führt zur Konzentration. Die Einfräsung ist allerdings so gering, dass es zu einer zarten Wirkung gelangt. Unaufmerksame Besucherinnen und Besucher übersehen das Werk, dann aber auch vielleicht die Stadt. Der künstlerische Zeigefinger mahnt nicht mit Provokation, sondern mit zurückhaltender Intimität, die ein Tattoo ausmacht. Es ist zugleich ein Spiel mit der Exhibition und dem Verdecken. Was nur zum Teil auf der Haut gezeigt wird, macht erotisch neugierig auf das Ganze.

Zudem atmet sie. Sie verändert sich je nach Wetterlage. Regnet es, dann verliert sich die Differenz von Ornament und Asphalt. Bisweilen sind die Details bei bedecktem Himmel kaum wahrzunehmen. Im trockenen Zustand erweitert sich der Abstand von Figur und Grund. Man geht auf den Spuren der Künstlerin wie auf einer Substanz oder auf Inseln. Die eingeschlossenen Kiesel zeigen sich mal mehr mal weniger; als gewönne man Einsicht in das Innenleben der subkutanen Materialität. Mit der unterschiedlichen Selbstdarstellung der Arbeit kommt es zu einer Schärfung des Blicks auf die Fragilität oder Variabilität des Kunstwerks generell. In der Tat trifft dies ja auch auf die Exponate in einem Museum zu.

Ein Ornament – oder vielmehr ein fraktioniertes Ornament in diesem Fall – ist niemals Schmuck ohne Bedeutung. Ranken, Stengel, Blütenknospen am Ende, Wellen, Blätter u.s.w. besitzen selbst Bewegung und Innehalten, können kulturelle Inhalte transportieren. Abstraktion und Naturimitation liegen in diesem Bereich knapp beieinander. Fremde und Nähe wird gerade am Unscheinbaren gesucht. Ornament ist immer eine Partitur einer Augenweide. Im Abtasten der Binnenformen geraten die Augen in Bewegung, die Rhythmik erzeugt Klänge, der musikalische Anteil neigt zur Produktion von Friesen und Bordüren, welche die Gegenstände überziehen und linear Lesestrukturen ergeben. Andrea Bischof hat dem abgegrenzten, architektonischen Bereich eine Bordüre verliehen, die abbricht.

Allerdings lassen sich die einzelnen Figuren nicht zu einem unendlichen Rapport zusammenfügen. Wir wollen ein Muster herauslesen und kommen ins Stocken. Indem das Ornament in Einzelteile zerlegt ist und wir schon auf der Suche sind, ertappen wir uns bei Wahrnehmungskonventionen. Die Ordnung und ihre Störung, in der keine absolute Bezugsrhythmik visuell zu gewinnen ist, drängt uns zum näheren Hinsehen. Verrätselung und Klärung erzeugen einen lebhaften Dialog. Die Simplizität von Figur und Grund, von an der Oberfläche korrodiertem Weg und der zweiten Flächenqualität aus frisch gefrästem Ornament führt auf die Grundfragen von Perzeption zurück. Das Herauslösen einer Figur aus einer pseudoneutralen Ebene geschieht nicht ohne kulturelle Vorprägung. Die inhärenten Gestalten werden vom bereits Gesehenen ergänzt und dominieren das Zu-Sehende. Kunst bekommt aus dieser ständigen Stress- und Kippsituation ihre Legitimation, der Andrea Bischof eine Sprache verliehen hat.

 

Markus Neuwirth